DOCUMENTA
KASSEL
29./30.06.07
documenta 12

Auch wenn ich eher unbewusst die Form einer Reportage gewählt habe, so sollen die Anmerkungen zu der eben noch überschaubaren Anzahl an Werken zu einem späteren Zeitpunkt eher meiner Erinnerung dienen und erheben nicht unbedingt den Anspruch die Werke im Sinne der Künstler zu deuten.

Eine allumfassende Berichterstattung würde ohnehin jeden Rahmen sprengen, auch deshalb begnüge ich mich hier mit der Vorstellung einiger Favoriten.

Wer einen flickr-Account besitzt kann die Bilder auch gerne durch klicken auf das entsprechende Image einzeln kommentieren. Dort findet sich noch eine weit umfangreichere Bildauswahl zur diesjährigen documenta.

Anker, Kapitän:

Dieser Artikel erschien auch in leicht abgewandelter Form auf Southspace Art & Noise

Mehr Informationen zur documenta gibt's hier:
www.documenta12.de

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Museum Fridericianum

Iole de Feritas Segel an der Aussenwand des Fridericianum

Zum Beispiel diese Aussenfassade des Fridericianum mit den gebogenen Stahlrohren der Skulptur von Iole de Feritas. Die installative, umgreifende Architektur mit ihren helixförmigen Segeln füllt im Inneren einen kompletten Raum und macht dann vor den Wänden des Gebäudes nicht halt, sondern schlängelt sie sich nach aussen weiter Richtung Himmel.

Einen Moment dachte ich beim Betrachten an die Dächer des Olympiaparks in München (und ich wollte diesen Artikel unbedingt mit den Worten "Zum Beispiel" beginnen, denn darum geht's hier - um Beispiele).

documenta-Halle

Der Phantom Truck des in Chicago lebenden Künstlers Iñigo Manglano-Ovalle hat seine Fahrt durch die Medien bereits hinter sich und hat dabei meist für Begeisterung gesorgt - und das völlig zu Recht: subtil wird in zwei aufeinander folgenden Räumen auf die Schimäre der mobilen Labore in LKWs zur Herstellung biologischer Waffen im Irak hingewiesen, aufgrund deren unter anderem die Rechtfertigung eines US-amerikanischen Präventivschlags resultierte.

Dabei spielt der Künstler mit dem Begriff der Täuschung: indem er seine LKW-Skulptur in einem nahezu komplett abgedunkeltem Raum aufgestellt, braucht das menschliche Auge eine gewisse Zeitspanne, um die Installation überhaupt zu erkennen.

Iñigo Manglano-Ovalle - Phantom Truck

Der Eindruck der gefälschten Photos wird dadurch verstärkt, daß die rote Beleuchtung des kleinen Vorraums auch als Lichtquelle des LKW-Raumes dient - der dadurch noch mehr an die Infrarotbilder erinnert. Die kleine Radioskulptur könnte in dieser Inszenierung eventuell eine Informationsquelle symbolisieren, so richtig erschlossen hat sie sich uns aber nicht.

Brownie die ausgestopfte Giraffe

Irgendwann musste sie dann ja kommen: Brownie, eine einst im einzigen Zoo im Westjordanland beheimatete Giraffe, die bei einem Angriff israelischer Streitkräfte während der zweiten Intifada in Panik gegen eine Eisenstange rannte und dann verstarb. Von einem Tierarzt dilettantisch präpariert und vom österreichischen Künstler Peter Friedl zum Kunstwerk erklärt teilt sie nun ein ähnliches Schicksal wie Gunther von Hagens Ganzkörper-Plastinate der Körperwelten Ausstellung - überflüssig im Raum rumstehen und von den Zuschauern begafft zu werden.

Nein, mir erschießt sich durch diese Geschichte kein "neuer Gedanke" den das Begleitheft sich herbeisehnt, und welcher dann die "stereotypen Medienbilder" in irgendeiner Form bereichert. Immerhin: sollte Brownie während der documenta unerwartet von den Toten auferstehen, muss sich der Giraffen-Zombi keine Sorgen um seine Birne machen - die documenta-Halle in ihrer absurden Höhe ließe auch Sauriern genug Platz zur Entfaltung.

Ebenso wenig finde ich positive Deutungsmöglichkeiten bei bei der Arbeit "Gris-gris pour Israel et la Palestine" von Abdoulaye Kontaté, der die "bedeutungsüberladenen" Symbole Israels und Palästinas nutzen will, um Hoffnung zum Dialog auszudrücken. Wie das ausgerechnet durch diese bluttriefenden Wandtücher geschehen soll kann zumindest ich bei diesem Versuch nicht erkennen. Schade, denn der Nahostkonflikt findet sich auf der documenta in vielen Arbeiten interessanter thematisiert wieder, und die meisten Künstler brauchen dabei weit weniger Raum, um prägende Eindrücke zu vermitteln.

Filzkrake von Sosima von Bonin

Deutlich besser gefällt mir da auch gleich diese namenlose Filzfigur ein paar Meter weiter, die als Teil der Installation "Relax it's only a ghost" von Sosima von Bonin die documenta-Halle in einen riesige Kinderstube verwandelt und die durch aufgeklebten Umrisse ihren eigentlichen Standort - der Galerie Petzel in New York - nachzeichnet und mit deren Abwesenheit auch noch das Thema "Geister" doppelt aufgreift.

Aue-Pavillon

Ai Weiwei - Template Installation Kassel 2007

Gleich das erste schwere Sommerunwetter hierzulande hat der Installation "Template" des chinesischen Künstlers Ai Weiwei vor dem Aue-Pavillon nach der documenta-Eröffnung übel zugesetzt: das Gebilde aus alten Holzfenster und Holztüren zerstörter Häuser aus ganz China ging zu Boden, wodurch die zuvor entstandene Textpassage aus dem Begleitbuch eine ganz neue Bedeutung gewinnt:

"Die architektonische Installation ist so solide und präzise, dass der Unterschied zwischen Alt und Neu ins Wanken gerät – und damit die Autorität des Authentischen."

Interessanter- und erfreulicherweise findet der Künstler die Installation jetzt aufregender als zuvor. Dem kann ich mich im positivsten Sinne nur anschließen.

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Eine kleine Auswahl der 1001 antiken Stühle, die Ai Weiwei aus China mitgebracht hat und die verstreut in alle Ausstellungsräume verteilt sind und somit ein prägendes Element der documenta bilden.

Und noch mal Ai Weiwei: die in den Medien viel erwähnte Aktionskunst mit den 1001 Chinesen, die noch nie ihr Land verlassen haben und von Weiwei nach Kassel auf die documenta eingeladen wurden, führte bei uns vor allem zu Spekulationen, welche der zahlreichen asiatischen Besucher denn nun als Teil eines Kunstwerks zu betrachten sind und welche nicht.

Gerwald Rockenschaub

Wer Aktionskunst wie ich gerne auch als Ort der Begegnung und Kommunikation verstanden haben möchte, der kommt nicht umhin die Installation von Gerwald Rockenschaub in Form eines minimierten Klassenraums als deren Perfektion zu betrachten. Mit den documenta-Besuchern als Schüler ohne Lehrer, die nach Gutdünken die Tafel bemalen, wird hier auch noch der elitäre pädagogische Anspruch, welcher der documenta anhaftet aufgenommen und veralbert.

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Gerade weiträumige Installationen sind mit der Kamera schwer zu fassen, mein Foto dieses Frachters von Romuard Hazoumé muss da leider als typisches Beispiel gelten

”Damned if they leave
 and damned if the stay:
 better, at least, to have gone,
 and be doomed in the boat of their dreams!”

Prekäre politische Themen geraten in Form eines Kunstwerks oft zu einem Fiasko: allzu strapazierte Plattitüden verärgern die Betrachter bei menschlichen Tragödien erst recht oder das Werk erreicht uns aufgrund seiner Abstraktionsgrad nicht mehr und verfehlt so sein humanes Anliegen.

Genau das Gegenteil bewirkt die im Rahmen des afrikanischen Raums gezeigte Materialcollage "Dream" des in Porto Novo lebenden Künstlers Romuard Hazoumé. Zutief bewegt das vor einem typisch-kitschigen Strandgemälde aufgestellte Boot, das daran erinnern soll, welches Risiko afrikanische Flüchtlinge auf sich nehmen, in der Hoffnung das Elend hinter sich zu lassen:

Das Boot ist zusammengesetzt aus duzenden aufgeschnittenen Benzinkanistern, die einerseits thematisieren, wie Flüchtlinge oft ihre Flucht finanzieren: Die Schlepperbanden werden entlohnt mit gestohlenem Benzin, das auf lebensgefährliche Weise mit Schläuchen aus Benzintanks von PKWs gesaugt wird. Andererseits wird aber auch drastisch dargestellt, wie riskant ihre Fluchtversuche sind: durch die Löcher der Füllhähne der Kanister wirkt das Schiff wie ein löchrig geschossenes Fass - nicht seetauglich, dem Untergang geweiht.

Dabei ist meine Interpretation sicher nur eine von vielen Möglichkeiten sich über diese Collage der aussichtslosen Lage vieler Bewohner Afrikas und deren Schicksale zu nähern. Die Installation "Dream" ist kein fiktionales Werk, sondern ergreift Wort und steht da als engagiertes Statement für die Notwendigkeit diesem Wahnsinn Einhalt zu bieten, mehr kann man von einem Kunstwerk nicht verlangen.

Romuard Hazoumé - Moon

Eher erheiternd hingegen die ebenfalls von Romuard Hazoumé entstandenen Skulpturen aus Gießkannen und Plastikkanister, die sich im selben Ausstellungsraum befinden und traditionelle afrikanische Masken kokettieren.

Xie Nanxing
Ich gestehe, meine verschwommene Aufnahme harmonisiert zwar mit dem Thema der drei Gemälde, Absicht war das aber nicht.

Die drei 2006 entstandenen, großformatigen Gemälde von Xie Nanxing irritieren auf den ersten Blick: ganz gleich von welcher Distanz man sich ihnen nähert - ihr düsterer Grundton in unscharfem Malstrich bietet keine Interpretationsmöglichkeit und doch versinkt man als Betrachter im Gemälde - gewillt eine Suche nach Motiven zu beginnen. Für mich malerisch das Highlight der documenta und wen es interessiert: nach längerem Studium fand ich mich in Mitten der Nacht auf einer Wiese wieder, gejagt von Scheinwerfern und einer wilden Meute auf dem rechten Gemälde. Aufregend! Und links ist da noch ein schwarzer Hund. Den sieht man aber nicht.

Neue Galerie

Churchill Madikida - Status Installation 2005

Ausser der bewegenden Installation "Status" von Churchill Madikida, die sich auf individuelle Weise mit der HIV-Erkrankung und dem Tod seiner Schwester und dem Thema Aids auseinandersetzt, haben mich in der neuen Galerie zwei eher bescheidene Arbeiten von Künstlern entzückt:

Annie Pootoogook

Es gibt Bilder, die sind auf den ersten Blick so schön, daß mich weder die Zeichentechnik noch Hintergründe zu deren Entstehung noch sonderlich interessieren. Schamlos überfällt mich der Wunsch sie nachzuzeichnen und fast ärgere ich mich, daß nicht ich es war, der dieses Bild zuerst gezeichnet hat.

Die Bilder der Kanadierin Annie Pootoogook gelingt das mit Leichtigkeit, der Charme ihrer mit Tusche und Buntstiften gezeichneten Alltagssituationen im Norden Kanadas geht auch dann nicht verloren, wenn sie sich Themen wie Alkoholismus, Isolation und sozialem Elend widmet.

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Ähnlich wunderbar ist der Raum, indem die Bilderreihe "Fears" von Nedko Solakov ausgestellt ist. Die 2007 entstandene Serie von kleinformatigen Szenerien mit schlichten Tintenstrichen auf Büttenpapier illustriert mit humorvollen Unterton Formen menschlicher Angst - surreal, tragikomisch und in ihrer heiteren Anmutung eine Seltenheit auf der diesjährigen documenta.

Andreas Siekmann

Schade, alles Sehenswerte konnten wir in den beiden Tagen nicht mitnehmen, gerne hätte ich mir noch den Bilderparcours des US-Künstlers Allan Sekula angeschaut oder die Medieninstallation El Dorado von Danica Dakic. Und die Idee von Sanja Ivekovic ein nur für kurze Zeit blühendes und wahrzunehmendes Mohnfeld am Friedrichsplatz zu sähen, hat mir auch gefallen. Im Gegensatz zur Installation "Die Exklusive" von Andreas Siekmann, die hier mit Bedacht nur ungünstig abgeschnitten auftaucht und der sich Andere widmen sollen.

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